Inhaltsverzeichnis
- Minden Dorstfeld/ORE Haupmerkmale
- Entwicklung - Ausführungsvarianten,
Bauarten 931, 932, 934 - Sonderbauarten -
ORE-Ausführung
(mit Schwerpunktaufhängung) - ORE-adäquate
Bauarten - SEAG 54 - nächstes
Kapitel - Impressum
Einführung - Hauptmerkmale
Einführung
Ende der 1940er Jahre ergab
sich mit der Bildung des EUROP-Wagenparks die Notwendigkeit, die wichtigsten
Güterwagen und ihre Bauteile international zu vereinheitlichen. Gleichzeitig
sollte die Geschwindigkeit der Güterwagen durch neue Laufwerke gesteigert
werden. Vom ORE (Office de recherches et d'essais, "Versuchsbüro"
der UIC/IEV, "Internationaler Eisenbahnverband") wurden die Konstruktionsbüros
der SNCF und der DB mit der Entwicklung dieser Wagen beauftragt, wobei
die deutsche Seite in Minden unter anderem mit der Entwicklung eines vierachsigen
Flachwagens (SSlmas 53, später Rs 680) betraut war.
Dieser Flachwagen wurde mit
Drehgestellen ausgerüstet, die in Zusammenarbeit mit der Frima Orenstein
& Koppel in Dortmund-Dorstfeld entwickelt worden war. Entstanden ist
dieses Drehgestell in Verbindung mit dem Prototyp des OOtz 50 (Großgüter-/Sattelwagen),
der 1952 von Orenstein und Koppel gebaut wurde.
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Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestell
Skizze: Güterwagen-Drehgestelle/Jahn |
Dieses Drehgestell wurde von der UIC als Standard-Drehgestell angenommen. Grundsätzlich stellen UIC Standards keine verbindlichen Normen dar, sondern haben eher den Charakter von Empfehlungen. Jede Mitgliedsverwaltung, jeder Hersteller kann für sich entscheiden, in welchem Umfang sie sich an die Vorgaben der UIC halten will. Im Rahmen dieser Abhandlung werden drei Bezeichnungen für diese Familie von Drehgestellen verwendet:
a) "Minden Dorstfeld" für die von der Deutschen Bundesbahn (und den Saarländischen Eisenbahnen - siehe Anmerkung 1) beschafften Drehgestelle und weitgehend baugleiche Drehgestelle von Privatwagen ("ohne Schwerpunktaufhängung"),
b) ORE-Drehgestell für die aus den Minden Dorstfeld-Drehgestellen abgeleiteten und von anderen europäischen Bahnverwaltungen und Privatwagen-Einstellern beschafften Drehgestelle ("mit Schwerpunktaufhängung"),
c) ORE-adäquate (ORE-A)
Drehgestelle für Drehgestelle, die von Bahnverwaltungen (CFR, CSD,
DR, PKP und SBB) entwickelt wurden, die nicht das ORE-Drehgestell in der
Standardausführung übernommen haben, aber die in ihrengrundsätzlichen
Merkmalen dennoch dem ORE-Drehgestell entsprechen.
Hauptmerkmale
Die nachfolgende Beschreibung
ist so gehalten, dass sie sowohl für die Minden Dorstfeld- als auch
für die daraus abgeleiteten ORE-Drehgestelle gilt, auf Unterschiede
und Bauartvarianten wird an anderer Stelle eingegangen. Die laufwerktechnischen
Merkmale gelten grundsätzlich auch für die ORE-adäquaten
Ausführungen.
Das Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestell steht in der Tradition der europäischen Lenkachsen-Drehgestelle. Der Achsen haben einen Abstand von 2,0 m, der Achssschenkelmittabstand - ein sehr diskretes, aber im Hinblick auf den internationalen Einsatz der Wagen bedeutsames Merkmal - beträgt, entsprechend dem von der UIC standardisierten Maß, 2 000 mm.
Rahmen
Der geschweißte Rahmen
besteht aus den beiden Seitenwangen, dem Hauptquerträger, den beiden
Kopfquerträgern und den Streben für die Aufhängung des Bremsgestänges.
Prinzipiell ist das gesamte Drehgestell aus zugeschnittenen Blechen aufgebaut,
für bestimmte Baugruppen werden aber auch gewalzte Profile und Pressblech-Bauteile
verwendet.
Die Seitenwangen und der Hauptquerträger sind aus zugeschnittenen Blechen aufgebaut. Beim Hauptquerträger bilden Steh- und Deckbleche eine kastenförmige Konstruktion, die Stehbleche der Seitenwangen sind durch gurtartig aufgeschweißte Flachbleche versteift. Für die Kopfquerträger werden U-Profilen verwendet, ebenso wie für die Schrägstreben für die Bremsgestänge-Aufhängung.
An den Achshalter-Ausschnitte in den Seitenwangen-Stehblechen befinden sich Gleitbacken zur Führung der der Achslager-Gehäuse. An der ursprünglich genieteten Ausführung scheinen einige Verwaltungen lange festgehalten zu haben, andere Verwaltungen haben ab Ende der 1950er Jahre aufgeschweißte Gleitbacken zugelassen.
Darüberhinaus weisen die Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestelle vier Bremsschaulöcher auf. Ältere Drehgestell-Bauarten waren so gestaltet, dass nur zwei Bremsschaulöcher zur Kontrolle der inneren Bremsklötze erforderlich waren.
Federung.
a) Federböcke
Beim weitaus größten
Teil der Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestelle wurden die äußeren
Federböcke in Pressblech-Bauweise ausgeführt. Der mittlere Federbock
ist entweder aus Blechzuschnitten zusammengefügt oder aus einem Blechstück
gepresst. Um eine möglichst optimale Einleitung der Kräfte in
die Seitenwangen zu erreichen, ist der mittlere Federbock als Kasten mit
trapezähnlich schrägen Flanken und nach unten abgewinkeltem Deckblech
ausgeführt.
b) Federaufhängung
Das wichtigste Kennzeichen
dieser Drehgestelle ist die neuartige Aufhängung der Federn an langen
Rechteckschaken mit Wendeschakensteinen (2). Die Langschaken stehen in
einen
Winkel von 60° zur Waagrechten. Diese Art der Federaufhängung
erlaubt deutlich höhere Geschwindigkeiten als herkömmliche Güterwagen-Drehgestelle.
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(Minden Dorstfeld-/)ORE-Drehgestell
mit langen Rechteckschaken (Langschaken) Zakks 33 55
790 1214-7, H-Celldömölk, 21. April 2006
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Exkurs: Zur Funktion der Langschaken Mit zunehmender Geschwindigkeit steigt die Frequenz der durch den Sinuslauf der Radsätze verursachten Querschwingungen. Bei höheren Geschwindigkeiten müssen diese Querschwingungen gedämpft werden. Traditionell waren daher Drehgestelle für höhere Geschwindigkeiten mit einer Wiege ausgestattet (siehe auch: Güterwagen-Drehgestelle mit Wiege). Wiegen sind relativ wartungsaufwändige Bauteile, entsprechend ausgerüstete Drehgestelle kamen daher bei Güterwagen nur in Sonderfällen zum Einsatz. Beim Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestell ermöglichen Querschnitt und Länge der Schaken sowie die Form der Schakensteine ein Pendeln in Querrichtung, während die bis dahin üblichen Federlaschen nur in Längsrichtung pendeln konnten. Darüberhinaus sind die Achsen im Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestell nicht mehr starr sondern mit einem Querspiel von ± 20 mm und einem Längsspiel von ± 6 mm gelagert. Damit übernimmt beim Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestell der Rahmen die Funktion der Wiege, die Querschwingungen werden nicht mehr direkt auf den Rahmen übertragen, sondern durch die Reibung zwischen Schaken und Schakensteinen gedämpft. Durch das gegenüber herkömmlichen Güterwagen-Drehgestellen 6-fach höhere Längsspiel sind die Achsen radial einstellbar und haben damit eine Laufwerks-Charakteristik, die gut 40 Jahre nach der Entwicklung des Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestells unter dem Begriff "track-friendly" zu einem Werbeargument wurde. Die langen Rechteckschaken
des Minden Dorstfeld/ORE-Drehgestelles lassen sich auf die 1948/49 gebauten
Versuchsdrehgestelle zurückführen, die unter den in Uerdingen
gebauten OOf-Versuchswagen verwendet und erprobt wurden (vgl. Versuchsbauarten
- Vom Pressblech zum Minden Dorstfeld).
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c) Federn, Gleitstücke
Die Blattfedern haben einen
Querschnitt von 120 x 16 mm und sind zu den zu den Enden hin nicht eingezogen.
Dies und die Tatsache, dass die Federn in Querrichtung pendelnd aufgehängt
sind, bedingen Ausschnitte in den Seitenwangen-Stehblechen, in die die
Federbolzen eintauchen können. Diese Ausschnitte sind mit Abdeckungen
hinterlegt.
Minden Dorstfeld/ORE-Drehgestelle
haben feste Gleitstücke zur seitlichen Abstützung des Wagenuntergestells.
Bremse
In engerem Sinn gehören
Bauteile der Bremsanlage nicht zum Drehgestell. Grundsätzlich ist
jedes Drehgestell auch ohne Bremseinrichtungen denkbar und lauffähig.
Betriebspraktische Aspekte und fertigungstechnische Gründe führten
frühzeitig zu einer Durchgestaltung des Drehgestellrahmens, die auf
die Erfordernisse einer gebremste Ausführung ausgelegt ist. Generell
bedeutet dies zum einen, dass die bremstechnisch erforderlichen Bauteile
im Drehgestellrahmen angeschlagen werden können und zum anderen, dass
der Rahmen die laufend zu inspizierenden Bremsbauteile erkennen lässt.
Diese zweite Forderung bedingt insbesondere bei Kastendrehgestellen Ausschnitte
in den Seitenwangen-Stehblechen, sogenannten Bremsschaulöchern.
Während ältere Kastendrehgestelle nur zwei Bremsschaulöcher zur Kontrolle der inneren Bremsklötze haben, weist der Rahmen des Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestells vier Bremsschaulöcher in den Seitenwangen-Stehblechen auf. Ursprünglich wiesen die äußeren Bremsschaulöcher eine dreieckförmige, die inneren eine kreisförmige Gestalt auf. Diese Ausführung wurde international in der Regel beibehalten, bei einzelnen Verwaltungen, vor allem bei der Deutsche Bundesbahn, kam es zu Änderungen in der Ausführung der Bremsschaulöcher.
Bremsschaulöcher müssen augenscheinlich erkennen lassen, ob ein dem Verschleiß unterliegendes Bremsbauteil, beispielweise die Bremsklötze, noch den sicherheitstechnischen Anforderungen (Grenzmaß) entspricht. Beim Minden Dorstfeld-Drehgestell in der "deutschen" Ausführung musste darüberhinaus auch noch die Sichtkontrolle der Rückstellfeder ("Ziehl'schen Feder") möglich sein, die eine vertikale Stellung der Bremsklotzschuhe bewirken soll. Dies war durch die dreieckförmige Gestalt der äußeren Bremsschaulöcher gewährleistet.
International (= ORE-Drehgestell) wurde jedoch die Aufhängung der Bremsklotzschuhe im Schwerpunkt präferiert, bei der auf eine verschleißanfällige Rückstellfeder verzichtet werden konnte. Diese Ausführung hätte eine kleinere (kreisrunde) Ausführung der äußeren Bremsschaulöcher erlaubt, dennoch hielten die meisten europäischen Verwaltungen an der dreieckförmgigen Gestaltung fest.
Höchstgeschwindigkeit.
Die Minden Dorstfeld-/ORE-Drehgestelle wurden seinerzeit für eine
Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h entwickelt und sind heute allgemein
für 100 km/h zugelassen. Mit entsprechender Bremsanlage ausgerüstet,
laufen die Drehgestelle teilweise sogar im beladenen Zustand mit 120 km/h
- ohne Doppelklotzbremse (z. B. VTG 33 80 791 7 018-3, SEAG 1965, 120 =
40,1 t; VTG 33 80 791 7 033-2, SEAG 1965, 120 = 46,5 t).
Vergleich Quer-/Längsspiel der Achsen
Drehgestell-Bauart | Querspiel | Längsspiel | Baujahr ab |
Pressblech, geschweißt (BA 925.1/925.2, Laschen) | ± 1,5 mm | ± 1 mm | 1943 |
DR Niesky, zweiachsig (Laschenaufhängung) | ± 1,5 mm | ± 1 mm | 1951 |
Minden Dorstfeld (Langschaken) | ± 20 mm | ± 6 mm | 1952 |
ÖBB Güt 55 SGP 2-achsig (Kurzschaken) | ± 9 mm | ± 1 mm | 1955 |
DB BA 887, Minden Siegen (Langschaken) | ± 23 mm | ± 6 mm | 1965 |
Y 21, Y 25 (Schraubenfedern) | ± 10 mm | ± 0 mm | 1960 |
ELH 3-25 (3-achsig, radial einstellbar) | ± 15 mm | ± 10 mm | 2005 |
zum Vergleich:
Laufwerk 2-achsiger Güterwagen (Austauschbau, Laschen) |
± 12,5 mm |
± 20 mm |
1927 |
Anmerkungen
(1) Saarländischen
Eisenbahnen, Minden Dorstfeld-Drehgestelle, Bauart 934: Diese Drehgestelle
werden in den Unterlagen der Deutschen Bundesbahn als Minden Dorstfeld-Drehgestelle
bezeichnet. Es ist gegenwärtig jedoch nicht klar, ob die Zuschreibung
"ohne Schwerpunktaufhängung" auch für diese Drehgestelle gilt.
Siehe auch: Minden
Dorstfeld - Ausführungsvarianten, Bauarten 931, 932, 934
(2) Wendeschakensteine:
Die Reibung zwischen Schaken und Schakenstein bedingt einen Verschleiß
der beiden Bauteile. Um die Betriebskosten zu verringern, sind die Schakensteine
(sowohl beim Minden Dorstfeld/ORE-Drehgestell als auch bei entsprechenden
Laufwerken zweiachsiger Wagen) so konstruiert, dass beidseitig verwendet
werden können. Ist eine Seite des Schakensteins abgenutzt, wird er
gewendet und weitergenutzt.
Quellen:
Deutsche Bundesbahn, Arbeitsgemeinschaft
für Ausbildungshilfsmittel: Wagenkunde (= Eisenbahn-Lehrbücherei
der Deutschen Bundesbahn, Heft 170). Starnberg 1954
Deutsche Bundesbahn: Merkbuch
für die Schienenfahrzeuge der Deutschen Bundesbahn. Güterwagen.
Band 2. DV 939 F, Januar 1967 und nachfolgenden Berichtigungen (bis B 12)
Deutsche Bundesbahn, Bundesbahn-Sozialamt,
Forschungs- und Versuchscenter für das betriebliche Bildungswesen:
Merkblatt Drehgestelle der Güterwagen. Mai 1976
Deutsche Bundesbahn, Bundesbahnzentralamt
Minden (Westf.): Schreiben 43.4301 Fwgp/2.23 vom 24. 08.83
Jakobs, Manfred: Historische
Güterwagen. Berlin 1985
Lehmann, Heinrich; Pflug,
Erhard: Der Fahrzeugpark der Deutschen Bundesbahn und neue, von der Industrie
entwickelte Schienenfahrzeuge. Berlin und Bielefeld 1956
Raab, Karl: Der Weg zum
europäischen Güterwagen (Fortsetzung) (in: Eisenbahnbahntechnische
Rundschau Heft 8/9 1953, S. 461- 481)
Wolff, Gerd: EK-Güterwagen-Lexikon
DB: Die vierachsigen Selbstentladewagen. Die Staubbehälterwagen. Freiburg
1994